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„Unsere hochaltrige Bevölkerung hat die Pflegeheime stark verändert“

11. Juli 2024

Themenschwerpunkt Weltbevölkerungstag: ALBERT GERLING-JACOBI ist Altenseelsorger im Kirchenkreis Syke-Hoya

Albert Gerling-Jacobi, Altenheimseelsorger im Kirchenkreis Syke-Hoya

Wenn ich zum Weltbevölkerungstag lese, dass es in Afrika Länder gibt, in denen der Anteil der unter 15-Jährigen bei über 40 Prozent in der Bevölkerung liegt, dann kann man nur sagen: In Deutschland haben wir ganz andere Probleme.

Bei uns wird die Bevölkerung immer älter. Die Zahl der über 60-Jährigen wird die Zahl der unter 30-Jährigen bald überschritten haben. Und je älter man wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden. Ist man über 80, liegt sie bei gut 40 Prozent. Bei über 90 schon bei mehr als 80 Prozent.

Fünf Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland im Moment. Tendenz steigend.

Gute medizinische Versorgung und die ambulanten Pflegedienste haben es ermöglicht, dass viele Menschen zu Hause gepflegt werden können. Vier Fünftel der Pflegebedürftigen sind das im Moment.

Das hat aber gleichzeitig nicht dazu geführt, dass die Zahl der stationären Einrichtungen zurückgegangen ist. Sondern es hat die Altersstruktur verändert.

Als ich mal vor 40 Jahren als Pastor anfing, in Altenheimen Besuche zu machen, da waren die meisten Menschen so zwischen 70 und 75 Jahre alt. Sie wollten das Alter in Gesellschaft verbringen und das gute Angebot der Einrichtungen nutzen.

Heute liegt das Eintrittsalter bei über 85 Jahren. Das heißt, die stationären Einrichtungen werden immer mehr zu Wohnstätten höchstaltriger Menschen, deren Mobilität stark eingeschränkt ist und die deshalb darauf angewiesen sind, dass die Kontakte zu ihnen ins Heim kommen.

Das verändert einerseits den Pflegeaufwand in den Heimen. Da kann man nur Hochachtung haben, wie das Pflegepersonal das geregelt kriegt. Aber auch in diesem Bereich fehlen – wie in so vielen derzeit – Fachkräfte. 200.000 sind es im Moment. 500.000 werden es Schätzungen zufolge 2050 sein.

Schon jetzt dauert es etwa 240 Tage, bis eine freie Stelle in einer Pflegeeinrichtung wiederbesetzt werden kann.

Das alles hat natürlich auch Auswirkungen auf uns als Kirche. Seelsorge gestaltet sich in ganz vielen Fällen anders als wir das gewohnt sind. Waren früher noch viele Gespräche möglich, so geht das heute oft nicht mehr.

Man sitzt am Bett, hält vielleicht die Hand und besinnt sich auf die alten, hergebrachten Dinge: Das Vaterunser miteinander beten; alte, vertraute Lieder singen; den Segen sprechen…

Die Leute sind dankbar, sie spüren das. Es ist wichtig, dass wir in die Heime gehen und sie begleiten auf ihrem letzten Weg. Und dazu möge Gott uns segnen.

Albert Gerling-Jacobi