Klartext und Breitseiten von Kabarettist Rainer Schmidt beim Treffen für Ehrenamtliche der Diakonie im Kirchenkreis
KIRCHENKREIS (miu). Das Gemeindehaus in Syke ist brechend voll. Mehr als 100 Menschen sind der Einladung des Kirchenkreises Syke-Hoya zum „Dankeschön-Treffen für Ehrenamtliche in der Diakonie-, Eine-Welt- und Partnerschafts-Arbeit“ gefolgt. Eine neugierige Spannung liegt in der Luft. Alle Augen sind auf einen Mann gerichtet: Rainer Schmidt, Kabarettist, Pastor, Dozent, mehrfacher Tischtennis-Meister und Goldmedaillengewinner bei den Paralympics. Ein helles, herzliches Gesicht, blitzende Augen, die jeden Einzelnen im Raum gleichzeitig anschauen können, Beinprothese, keine Hände. Die Arme enden knapp unter den Schultern. Seine Ausstrahlung erst irgendwo in ein paar Kilometern.
Das höfliche Begrüßungsklatschen ist noch nicht abgeebbt, als Schmidt seinen Zuhörern auch schon unmissverständlich die Richtung des Nachmittags anzeigt: Jetzt gibt’s Klartext, und zwar volle Breitseite. In einem Tempo wie zu seinen besten Zeiten als Tischtennis-Weltmeister ballert er den Anwesenden Sprüche um die Ohren. Die sonst in diesen Tagen mit großer Aufmerksamkeit bedachte Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier begrüßt er als „Klosterschwester“, zieht einmal fix den Superintendenten Dr. Jörn-Michael Schröder, den Kirchenkreistagsvorsitzenden Lothar Dreyer und alle anderen wichtigen Würdenträger durch den Kakao, um dann für einen kurzen Moment die Menschen im Saal zu scannen, die Armstummel in die Luft zu recken und auszurufen: „Danke, lieber Gott, dass ich nicht so langweilig aussehe wie mein Publikum!“
So spaßig die Show auch weitergeht – leichte Unterhaltung ist es nicht. Rainer Schmidt hat schwere Inhalte im Gepäck. Es geht um den Umgang mit Verschiedenartigkeit und um Augenhöhe. Um Einschränkungen und Ausgrenzung, Fremd- und Selbstwahrnehmung, Engagement und Gutmenschentum, richtige Unterstützung und falsch verstandene Hilfsbereitschaft, Toleranz und Political Correctness. Tabus und Schmerzgrenzen kennt der 53-Jährige dabei nicht. Aber er beherrscht es, unangenehme Wahrheiten, schmerzhaften Ernst und krachende Unverschämtheiten so charmant zu verpacken, dass die Gäste sich schnell drauf einlassen können. Nach kurzer Überwindung lacht auch der letzte Gast im Saal hemmungslos über Schmidts bissigen Humor.
Eine Kernbotschaft, die der Kabarettist den „helfenden Händen“, wie er sein ehrenamtlich engagiertes Publikum nennt, immer wieder vermittelt: „Wirkliche Hilfe kann nur Hilfe auf Augenhöhe sein. Man darf Menschen nicht entmündigen und ihnen etwas aufdrängen, von dem man selbst glaubt, es wäre richtig für sie. Das tut man aus Unsicherheit heraus, aber es ist oft falsch. Trauen Sie sich und fragen Sie, was der andere braucht! Seien Sie keine Gutmenschen, seien Sie Mutmenschen! So wie Jesus in der biblischen Geschichte. Der ist nicht gleich zu den Kranken rüber gelaufen und hat einfach heile, heile, heile gemacht! Er hat ihnen was zugetraut, sie zu sich gebeten und erst mal gefragt: ,Was soll ich für Euch tun?‘.“
Rainer Schmidt polarisiert und philosophiert, scherzt und schimpft, springt und sprudelt. Und nach der Hälfte der Zeit schaut man sich immer noch gebannt das Kabarettprogramm von diesem energiegeladenen Typen mit den Armstummeln an – aber man sieht kein Handicap mehr.
„Ich bin ja auch nur an den Armen behindert, nicht im Kopf oder sonst wo. Jetzt mal ganz ehrlich: Was denken Sie, was ich nicht kann?“, fragt Rainer Schmidt in den Saal.
„Stricken!“, ruft eine Frau. „Klavier spielen!“, ruft ein Mann. Schmidt grinst. „Wer von Ihnen kann nicht stricken?“ Die Hälfte meldet sich. „Und wer hier im Raum spielt Klavier?“ Noch weniger.
„Mann, Mann, Mann!“, stöhnt Rainer Schmidt, „da bin ich als Behinderter zur Unterhaltung von der Diakonie und Kirche eingeladen worden, und mehr als die Hälfte hier ist selbst behindert…“
Miriam Unger