Kirchenkreistag beschäftigt sich mit Zukunft der Kirche in der Region / 2030 halbiert sich landesweit die Zahl der Pastoren / Unterversorgung
HOYA (miu). Welches Image hat die Evangelische Kirche aktuell in unserer Gesellschaft? Um das herauszufinden, hat das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Jahreswechsel eine Umfrage in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Die Werte für Sympathie, Sozial- und Sinnhaftigkeit sind super, bei Coolness und Style hat die Organisation Nachholbedarf. Die Kirche punktet der Umfrage zufolge mit großem Abstand in Kategorien wie „verlässlich“, „sozial“, „aktiv, engagiert“, „tolerant, offen“ und „glaubwürdig, authentisch“. Mittelwerte gibt‘s bei „zielorientiert, effizient“ und „nüchtern, realistisch“. Bei „cool, modisch, modern“ sackt die Zustimmung. „Also: Grundsätzlich ein guter Ruf, aber eher traditionell als trendy“, fasst Dr. Jörn-Michael Schröder, Superintendent des Kirchenkreises Syke-Hoya, die Ergebnisse vor dem Kirchenkreistag in Hoya lachend zusammen. Am Gewohnten, Altbekannten wird sich in den nächsten Jahren allerdings einiges ändern. Die Kirche wird neue Wege gehen und sich gerade in der ländlichen Region anders organisieren müssen, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein.
Knapp 100 Delegierte des Kirchenkreis-Parlaments und Gäste aus den 28 Gemeinden der Region sind in Hoya zusammengekommen, um sich mit den Themen „Kirchenvorstandswahlen 2018“ und „Perspektiven für die Gemeindeleitung im Jahr 2024“ zu beschäftigen.
Die Veranstaltung beginnt mit einem zweisprachigen Gottesdienst, den die sechsköpfige Delegation aus der Partnersynode Mato Grosso/Brasilien gestaltet, die derzeit im Kirchenkreis Syke-Hoya zu Gast ist. Am Ende überreichen die brasilianischen Besucher um Pastor Elisandro Rheinheimer den deutschen Freunden eine persönliche Erinnerung als Dankeschön – ein großformatiges, selbstgestaltetes, farbenfrohes Bild aus Worten, Symbolen und Handabdrucken.
„Pastoren sind keine Heiligen und Kirchenvorstände keine Gruppen von Vorzeigechristen.“
Danach beginnt der Kirchenkreistag mit einem Impulsreferat zur Kirchenvorstandswahl 2018 von Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier aus Osnabrück. „Wir stehen vor Umbrüchen. Auf uns kommen in den nächsten Jahren große Herausforderungen zu. Das Bild von Kirche wandelt sich, und wir müssen uns mitverändern. Nicht nur, weil wir weniger Mitglieder haben werden, sondern auch eine sich immer schneller, stärker wandelnde Welt – bedingt durch das Internet, veränderte Formen der Kommunikation, verschiedene Religionen im Land, den demografischen Wandel, Bevölkerungsrückgang, Alterung der Gesellschaft, den Wegzug vom Land in die Stadt... Wir haben einiges zu tun, um weiter relevant zu bleiben“, weiß die Regionalbischöfin. „Es gilt, mutig zu sein, aber auch realistisch. Dafür sind wir mehr denn je auf engagierte Kirchenvorstände angewiesen.“ Ein Kirchenvorstand sei meist dann richtig gut, wenn er vielfältig besetzt wäre, betont Klostermeier: „Eine Mischung aus verschiedenen Generationen, aus häufigen und seltenen Gottesdienst-Besuchern, aus Kircheninternen, aber auch Menschen aus ganz anderen Bereichen, die eine neue Perspektive einbringen können.“ Von alten Klischees über Anspruch und Rollen hält die Landessuperintendentin wenig: „Pastoren sind keine Heiligen, und der Kirchenvorstand ist keine Gruppe von Vorzeigechristen.“
„Wir müssen über eine bessere Struktur für Ehrenamtliche und finanzielle Ausgleiche nachdenken.“
Dass die Aufgaben von Kirchenvorständen immer anspruchsvoller würden, betont Superintendent Dr. Jörn-Michael Schröder im Anschluss. „Das ehrenamtliche Engagement in unserem Kirchenkreis hat in den vergangenen Jahren zwar insgesamt zugenommen“, erklärt er, „trotzdem ist es eine Tatsache, dass Kirchenvorsteher in vielen Gemeinden schon jetzt enorm viel Arbeiten und Verantwortung übernehmen.“ Durch zahlreiche Bauvorhaben in den Gemeinden, Strukturveränderungen oder auch Projekte der Integration und Flüchtlingsarbeit vor Ort würden die Rahmenbedingungen für die Kirchenvorstände immer aufwendiger. Die Entscheidungen und Aufgaben seien komplexer und zeitintensiver geworden, so dass es immer schwieriger werde, sie nebenberuflich bewältigen zu können. „Wir müssen uns neue Wege überlegen, die Arbeit in Kirchenvorständen so zu strukturieren, dass sie für Ehrenamtliche noch machbar ist“, sagt Schröder. „Und wir müssen auch über finanzielle Ausgleiche nachdenken.“
Zumal sich in den kommenden Jahren die Zahl der Hauptamtlichen im Pfarramt gravierend verändern wird. „Geld wird nicht unser Hauptproblem in den nächsten Jahren sein, sondern Stellen, die wir nicht besetzen können“, meint Schröder. In den Jahren 2020 bis 2030 geht ein großer Block von Pastoren in den Ruhestand – deutschlandweit knapp die Hälfte der bisherigen Belegschaft. Nachwuchs gibt es zwar, aber nicht in ausreichender Menge. „Es wird eine Unterversorgung geben, die unser Kirchenkreis deutlicher zu spüren bekommen wird als etwa die Stadtkirchen“, so Schröder. „Wir müssen uns auf Schwierigkeiten bei der Neubesetzung von Pfarrstellen und auf längere Vakanzzeiten einstellen.“
Die meisten Gemeinden im Kirchenkreis haben bereits vorgebaut. Netzwerke der regionalen Zusammenarbeit sind entstanden, die sich gegenseitig entlasten, Synergien nutzen und weiter intensiviert werden sollen.
Aber auch inhaltlich werden an vielen Orten neue Wege gesucht. Denn nicht nur die Mitgliederzahlen sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen (von 2.856.415 im Jahr 2011 auf 2.691.447 in 2015 – betroffen sind laut Schröder „alle Gemeinden im Kirchenkreis bis auf Twistringen“); auch jahrzehnte Selbstverständlichkeiten ändern sich. „Früher war klar, wann sich Jugendliche zum Konfirmandenunterricht anmelden, heute erinnern wir die Jahrgänge mit einem Brief daran. Auch Trauungen und Taufen werden nicht mehr selbstverständlich in Anspruch genommen.“
„Hälfte der Pastoren geht bis 2030 in den Ruhestand.“
Die Teilnahme an klassischen Sonntagmorgen-Gottesdiensten habe abgenommen, die Gottesdienste „aus dem zweiten Programm“, wie Superintendent Schröder es nennt – moderne Formate zu anderen Uhrzeiten, mit Unterhaltungselementen wie Anspielen, neuerer Musik und mehr Interaktion mit der Gemeinde – hätten dafür enormen Zulauf. „Wir werden in den kommenden Jahren mehr danach schauen müssen, inwieweit wir die Liturgien, die Musik und die Formen ändern und übernehmen können, was in anderen Gottesdienstangeboten gut funktioniert.“
Schröder selbst erwartet eine Entwicklung „weg von der ,Kirche des Volkes‘, wieder mehr hin zu einer ,Kirche für das Volk‘.“ Er blickt optimistisch in die Zukunft: „In kleineren Kirchen kann eine neue Freiheit liegen und wieder mehr Gestaltungsmöglichkeit. Wir können uns wieder klarer positionieren, wir dürfen anecken und mehr Buntes ausprobieren.“ Dass es ausreichend kreative Wege und Ideen dafür in seinem Kirchenkreis gebe, zeigen die unterschiedlichen Angebote im aktuellen Reformationsjubiläumsjahr – eine Vielzahl von gutbesuchten musikalischen und kulturellen Angeboten, Veranstaltungen und Festen. Ein Höhepunkt wird das Kirchenkreisfest am 19. August in Vilsen sein, bei dem unter anderem eine Gruppe aus knapp 20 Pastoren und Mitarbeitenden aus der Region ein modernes Lutherstück aufführt.
Miriam Unger