Lässt sich die Geschichte einer gesellschaftlichen Veränderung auch anders als mit Worten erzählen?

Nachricht Syke, 25. Oktober 2016

Ja. Das zeigt die Tänzerin Lotte Rudhart bei der Eröffnung des Reformationsjubiläumsjahrs in der Syker Kirche / Ein Interview.

Lotte Rudhart
Schritte der Reformation: Die Tänzerin Lotte Rudhart in Aktion.

SYKE (miu). Der 31. Oktober ist für Christen ein besonderes Datum. Reformationstag. Ein fester Feiertag im Kirchenkalender, an dem die von Martin Luther angestoßene Bewegung für eine neue, für jeden offene Kirche gefeiert wird. Und in diesem Jahr ist der Tag sogar noch etwas besonderer, weil er offiziell das Reformationsjubiläumsjahr eröffnet. In den kommenden zwölf Monaten wird es anlässlich des 500-jährigen Jubiläums 2017 nicht nur kirchenkreis-, sondern weltweit ein großes Programm an Angeboten, Veranstaltungen und Aktionen geben. Natürlich auch hier in der Region. Und damit schon bei der Eröffnungsveranstaltung am kommenden Montag um 19 Uhr in der Syker Christuskirche deutlich wird, dass es sich um keinen gewöhnlichen Gottesdienst handelt, arbeitet Superintendent Dr. Jörn-Michael Schröder mit Künstlern zusammen, die dem Thema nicht nur in Worten, sondern auch mithilfe von anderen Darstellungsformen Ausdruck verleihen. Neben dem isländischen Musiker Svavar Sigurdsson, der die Inhalte, Geschichten und Gefühle in Musik verpackt, wird die Tänzerin Lotte Rudhart körperlich Bewegung in die Reformation bringen.

Die Gäste bekommen auf diese Weise nicht nur zu hören, sondern auch zu spüren und zu sehen, wie die Menschen damals im Mittelalter mit ihrem Glauben, ihren Ängsten und ihren Sündenvorstellungen lebten. Wie das Bedürfnis nach Befreiung immer stärker wurde und schließlich eine enorme Kraft entwickelte, die Massen mit- und bestehende Konventionen umriss. Wie deswegen Kämpfe und Kriege ausgefochten wurden und sich die Weltanschauung und das Werteverständnis einer kompletten Gesellschaft veränderten. Und welche Rolle diese Befreiung heute noch für unser Leben spielt.

Wie sich all das in Texte und Musik verpackt anhören kann, lässt sich erahnen. Aber wie soll sowas getanzt und körperlich dargestellt aussehen? Ein guter Grund, der Tänzerin Lotte Rudhart mal einige Fragen zu stellen. Denn sie weiß, wie das geht.

Die 37-Jährige machte ihre Tanzausbildung in München, New York und Hamburg. Seit 2009 arbeitet sie fest am Theater Bremen. Sie choreografiert und tanzt daneben aber auch in anderen Engagements im In- und Ausland, sowohl in modernen als auch in klassischen Stücken und leitete im Auftrag der Akademie der Künste Berlin Tanzwerkstätten mit Schulklassen.

Lotte Rudhart Porträt
Lotte Rudhart

Lotte Rudhart, Sie tanzen am 31. Oktober bei der Eröffnungsveranstaltung zum Reformationsjubiläumsjahr in Syke. Was genau werden Sie da machen?
Superintendent Schröder wünschte sich für die Auftaktveranstaltung eine besondere Note. Etwas, das überrascht und gleichzeitig das Gefühl und die Stimmung der Reformation erlebbar machen kann. Das mit Tanz darzustellen, war für mich eine spannende Anfrage. Gerade, wenn man bedenkt, dass Martin Luther als Begründer der sogenannten „Kirche des Wortes“ gilt und Tanz sich ja gerade dadurch auszeichnet, wortlos zu kommunizieren.

Was reizt Sie an so einem Engagement?
Das Tanzen in Kirchen ist besonders schön für mich, weil es hier nicht nur um die Kommunikation mit dem Publikum, sondern auch mit Gott geht. Meistens gibt es dazu auch noch Live-Musik in einer wunderbaren Akustik – man ist ganz in Klang gebettet. Das begeistert mich.
Als ganz junge Tänzerin, damals in Hamburg, bin ich zum ersten Mal angefragt worden, eigene Choreographien in Kirchen zu tanzen. Ich tanzte im Mariendom Hildesheim die „Johannispassion“ in der Choreographie von Antonio Gomez und in Tanzprojekten für Kirchen in Lübeck und Dortmund.
Letztes Jahr habe ich mehrmals im Bremer Dom getanzt, in einem Konzert mit Chor und Orchester und zu Orgelkonzerten. Und weil mir das so gut gefallen hat, habe ich auch bei der Anfrage aus Syke gerne zugesagt.

Wie geht man bei so einem Auftrag als Tänzerin vor? Gibt der Superintendent Ihnen Stichworte, zu denen Sie dann Bewegungen vorschlagen und daraus am Ende eine Choreographie entwickeln?
Nein. Wir haben uns zunächst lange unterhalten, haben die Inhalte und den Ablauf des Gottesdienstes besprochen. Ich tanze zu Beginn und am Schluss der Veranstaltung und als Umrahmung der Predigt. Meine Aufgabe ist es, nach einer körperlichen Umsetzung des gesprochenen Inhalts zu suchen. Dabei versuche ich allerdings weniger, offensichtlich zu bebildern. Sondern mich mehr von innerlichen Reaktionen leiten zu lassen, die sowohl vom Predigttext inspiriert sind als auch von biographischen Elementen aus Martin Luthers Leben, beziehungsweise aus Legenden über ihn. Er soll zum Beispiel seit seiner Kindheit unter starken Ängsten und Depressionen gelitten haben. Ängste vor bösen Geistern und Dämonen, aber auch vor der Strafe Gottes. Als er in ein Gewitter geriet und fast vom Blitz getroffen wurde, gelobte er, Mönch zu werden. Das ist ein spannendes Bild. Berühmt ist auch das Anschlagen der 95 Thesen an die Kirchentür. Aber wir werden sicher nicht 95 Mal an die Kirchentür in Syke hämmern, um das darzustellen…

Sondern?
Ich habe andere Ideen. Luthers Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ hat einen interessanten Rhythmus. Und die erste Zeile besteht aus neun Tönen. Das könnte man zum Beispiel gut als Motiv für diese Hammerschläge verwenden. Ich freue mich schon auf die Ideen und die Zusammenarbeit mit dem Organisten Svavar Sigurdsson.

Gibt es etwas, das sich durch Tanz garantiert nicht ausdrücken lässt?
Erfahrungsgemäß sieht der Zuschauer nicht immer genau das, was ich mir beim Tanzen denke. Das könnte einem Pantomimen vielleicht besser gelingen. Aber darum geht es auch nicht. Meine Erfahrung ist: Wenn ich Tanz sehe, der mich anspricht, fühle ich mich als Zuschauer innerlich mitbewegt. Manchmal bin ich dann ganz energiegeladen und könnte auf dem Nach-Hause-Weg auf der Straße herumspringen, obwohl ich ja gerade eine Stunde oder länger still auf einem Theaterstuhl gesessen habe.

Was wird die Besucher am Montag am meisten überraschen?
Nicht nur die Besucher, auch alle anderen Anwesenden werden überrascht. Denn Inhalt und Ablauf sind zwar geplant. Aber die musikalische und tänzerische Umsetzung wird innerhalb dieser Absprachen relativ frei in Improvisation entstehen. Das heißt, alle in der Kirche werden ein Zusammenspiel von Text, Musik und Tanz erleben, das im Moment entsteht und so nicht wiederholbar ist. Wie ein Gebet, das nicht auswendig gelernt, sondern spontan und sehr persönlich formuliert ist. Ich glaube, wir kommen damit dem Verständnis Martin Luthers von Kirche auch näher als mit einer ausgearbeiteten Komposition und fest einstudierten Choreographie.

Montag, 31. Oktober, 19 Uhr, Christus-Kirche Syke.
 

Miriam Unger