Im Beisein von Angehörigen erfährt das Wirken und Schicksal von Pastor Schulz im Dritten Reich eine späte Würdigung
Harpstedt - (Kreiszeitung v. 19.09.2015 von Jürgen Bohlken.) Noch lebende Angehörige nahmen weite Anreisewege auf sich, um am Donnerstagabend die Gedenkveranstaltung zu Ehren des vor 80 Jahren von den Nazis in den Suizid getriebenen Harpstedter Pastors Adolf Schulz in der Christuskirche mitzuerleben. Schwiegertochter Margarethe, die Enkel Andreas, Thomas, Christine und Karola sowie Urenkel Malte erlebten zusammen mit rund 70 weiteren Anwesenden eine aufwühlende Feierstunde mit mahnender Botschaft und Beiträgen von Jürgen Ellwanger, Pastorin Hanna Rucks und Superintendent Jörn-Michael Schröder.
Jahrzehntelang waren die Geschehnisse, die zum Freitod des Geistlichen geführt hatten, mehr oder weniger totgeschwiegen worden. Werner Meiners rückte sie 1995 in seiner Publikation „Menschen im Landkreis Oldenburg 1918 – 1945“ nachhaltig ins öffentliche Bewusstsein. Der frühere Archivpfleger der Samtgemeinde Harpstedt, Dr. Jürgen Ellwanger, knüpfte daran in seinem Buch „12 Jahre. Harpstedt im Nationalsozialismus“ an. Im Zuge einer Recherchen hatte er auch Konrad Schulz besucht und befragt, den einzigen noch lebenden Sohn des am 2. September 1935 aus dem Leben geschiedenen Adolf Schulz. Darauf und auf weitere Quellen baute er seinen Vortrag während der Gedenkfeier auf.
Aufhorchen ließ seine Schlussbemerkung: Ellwanger wünschte sich, dass Harpstedt das Andenken an Pastor Schulz, der fünf Kinder und seine Ehefrau Lydia hinterlassen hatte, in Ehren und lebendig halten möge. „Wie mutig war dieser Mann, der Bedrängnis auf sich genommen hat und weiter seine Stimme erhob gegen Drangsalierung seiner Mitmenschen, gegen Denunzierung, Judenverfolgung und schädliche Entwicklungen im christlichen Glauben!“ Ellwanger machte Vorschläge zur Wahrung des Gedenkens: „Die Grabstelle auf dem Harpstedter Friedhof sollte sich durch Anpflanzungen hervorheben. Aufklappbare Tafeln könnten über den dort begrabenen Pastor informieren. Eine Schrift könnte erstellt und in der Kirche zur Einsicht oder Mitnahme ausgelegt werden. Möglich wäre ja vielleicht auch, der Schule Informationen über Adolf Schulz als Unterrichtsmaterial zur Verfügung zu stellen. Jedes Jahr im September könnte der Gemeindebrief mit einem kleinen Hinweis an ihn erinnern und vielleicht anregen, sein Grab mit einem Blumenstrauß zu schmücken. Ein Gang zu seiner Ruhestätte könnte fester Bestandteil im Konfirmandenunterricht sein.“
Adolf Schulz kam am 21. März 1886 im Taunus als sechstes und jüngstes Kind eines Landwirts, Schreiners und Postagenten zur Welt. Ein begonnenes Theologiestudium musste er 1914 wegen des Einzugs zum Kriegsdienst an der Westfront, wo er an vielen Kämpfen beteiligt war, unterbrechen. 1920 schloss er es ab. Im Januar 1922 trat er seine erste Pfarrstelle in Simmersbach an; 1926 wechselte er nach Krumbach. 1931 zog er mit seiner Familie nach Harpstedt, wo er am 22. Dezember seine Antrittspredigt hielt. Er galt als redegewandt.
„Wer spürt nicht den Hammerschlag Gottes?“
Zunächst habe sich Schulz den Deutschnationalen und Deutschen Christen verbunden gefühlt, so Ellwanger. „Das sollte sich aber ändern.“ NS-Ideologie und Rassenwahn machten im Dritten Reich vor den Gotteshäusern nicht halt. „Wer spürt nicht den Hammerschlag Gottes beim Schmieden des neuen Reiches?“, zitierte Ellwanger aus einem zeitgenössischen Bericht über eine 1933 gehaltene Predigt. Die Nazis strebten nach Gleichschaltung, auch bei den Kirchen. Als Erfüllungsgehilfen dienten ihnen die Deutschen Christen, eine am Führerprinzip orientierte Strömung, die den Protestantismus an die NS-Ideologie angleichen wollte.
Pastor Schulz erkannte die Bestrebungen, die Volks- in eine Volkstumskirche zu überführen, um sie sich politisch dienstbar zu machen. Er sah im Nationalsozialismus nun einen Gegner. Schon 1934 erhob er in Gottesdiensten das Wort gegen die kirchliche Entwicklung in Deutschland. Er wandte sich der Bekennenden Kirche zu, was zwangsläufig die Konfrontation mit den Nazis nach sich zog. Wie sehr Harpstedt unter dem Einfluss des Hakenkreuzes stand, verschwieg Ellwanger nicht. „Wem mal kritische Gedanken durch den Kopf gingen, der äußerte sie nicht. Und wenn doch, dann nur im engsten Freundeskreis. Bedenken trug allenfalls eine schweigende Minderheit. Es gab keinen spürbaren Rückhalt für Pastor Schulz, als er dem Wirken der Nationalsozialisten entgegentrat“, so der frühere Archivpfleger.
Am 17. Oktober 1934 predigte Landesbischof Marahrens in der überfüllten Christuskirche im Sinne der Bekennenden Kirche. Am Vortag begannen nachts die tätlichen Angriffe auf Adolf Schulz. Im Pfarrhaus war eine große Tafel gedeckt – in der Absicht, tags darauf den Landesbischof mit einer Konkordanz zu empfangen. Steinewerfer zerstörten die Fensterscheiben. „Das Tafelgeschirr lag in Scherben. In der Nacht tönte ein Sprechchor vor dem Haus lautstark: ,Heil Hitler!‘“, zitierte Ellwanger aus seinem Buch.
Schulz selbst habe sich nie des Hitlergrußes bedient. Monatelang waren er und seine Familie Terror ausgesetzt. Beigetragen haben zu dem Suizid dürften die Spannungen zwischen ihm und NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Gunst. Letzterer sei für sein Amt gewissermaßen prädestiniert gewesen, so Ellwanger: „Ein Zugezogener, weder durch Verwandtschaft noch enge freundschaftliche Bindungen mit der Bevölkerung verwurzelt.“
Am 30. August 1935 bat Adolf Schulz Landrat Fürbringer um Schutz vor den Nazis. Der Pastor hatte vernommen, dass er aus dem Haus und dann demonstrativ durch den Ort getrieben werden solle. Fürbringer sicherte Polizeischutz zu. Es kam allerdings zu keinen Übergriffen. Ebenfalls am 30. August berichtete Gendarm Bremer dem Landrat, Pastor Schulz sei wegen „unsittlicher Handlungen“ an seiner wenige Tage zuvor entlassenen Hausangestellten Anna Meyer angezeigt worden. Die Anzeige habe Ortsgruppenleiter Gunst aufgesetzt. Die NSDAP startete sofort eine Kampagne. Durch Gunst ließ sie die Vorwürfe gegen Schulz verbreiten. Daran hatte auch Walter Capelle, Mitglied der NSDAP-Motorstaffel, mit seinem Motorrad Anteil. Bald machten schlimmste Gerüchte die Runde. „Niemand trat offen dieser Hetze entgegen“, gab Ellwanger zu bedenken.
Am Vortag seines Todes soll Schulz zu Schmiedemeister Heinrich Remme gesagt haben: „Gott weiß, dass ich unschuldig bin.“ Am 2. September richtete der denunzierte Geistliche die Waffe gegen sich selbst. Sein ältester Sohn Friedrich soll sich zu der Zeit im Garten aufgehalten und den Suizid durchs Fenster gesehen haben. „Später hat er nie wieder darüber gesprochen“, so Ellwanger.
Auch viele andere schwiegen – jahrzehntelang.
Quelle: Kreiszeitung Online v. 19.09.2015