Delegation aus dem Kirchenkreis kehrt aus der Partner-Synode Mato Grosso in Brasilien zurück – Erlebnisse in „einer ganz anderen Welt“
LANDKREIS. Es war kein Urlaub, sondern eine Dienstreise mit viel Programm, und der Jetlag steckt ihnen noch sichtlich in den Knochen. Trotzdem wischt die Begeisterung über das Erlebte sofort alle Müdigkeit weg, wenn die sechs Teilnehmer des Austauschs zu erzählen beginnen. Fast einen Monat lang war eine Delegation aus dem Kirchenkreis Syke-Hoya zu Gast in der brasilianischen Partner-Synode Mato Grosso. Gerade sind Irene Maertins (Kirchengemeinde Leeste), Jürgen Stegmann (Kirchengemeinde Wechold), Mona Lisa Cordes (Kirchengemeinde Eitzendorf), Anja Thorns (Kirchengemeinde Syke), Anja von Issendorff (Pastorin in Bruchhausen-Vilsen) und Dr. Jörn-Michael Schröder (Superintendent des Kirchenkreises) zurückgekehrt – voller Eindrücke und Geschichten.
Dass im Partner-Kirchendistrikt in Zentralbrasilien eine ganz andere Größenordnung gilt, merkten die Reisenden gleich am ersten Tag. Mato Grosso hat eine Fläche von mehr als 900.000 Quadratmetern. „Als wir von den Ausmaßen unseres Kirchenkreises erzählt haben, haben alle gelacht.“ Sowas hatte Superintendent Dr. Jörn-Michael Schröder auch noch nicht erlebt. Anja Thorns staunte ebenfalls über die Dimensionen: „Ein Landwirt mit 34.000 Hektar Land war bisher unvorstellbar für mich. Genauso wie die Tatsache, dass eine Pastorin 160 Kilometer fährt, um einen Gottesdienst zu halten für drei Großfamilien, die sich in einem Haus versammeln. Das ist in Mato Grosso ganz normal. Es ist wirklich eine ganz andere Welt.“
Die sechs Deutschen besuchten kirchliche und soziale Projekte, schauten sich Einrichtungen und Gemeinden an, lernten das Land und die Leute kennen. Was hat sie besonders beeindruckt?
„ARMUT UND REICHTUM STEHEN DIREKT NEBENEINANDER“
Anja Thorns (50 Jahre) aus Syke: „Neben dieser unglaublichen Fläche des Landes habe ich am meisten darüber gestaunt, wie selbstverständlich in Brasilien überall im Stadtbild Armut und Reichtum nebeneinander stehen – und auch stehen gelassen werden. Ein großer Unterschied war für mich auch die Herzlichkeit der Menschen. Es war gar kein Problem, sich zu verständigen. Und die älteren Mitglieder in den Lutheraner-Gemeinden sprechen sogar noch Deutsch. Zwar mit einem starken Hundsrück-Dialekt oder auch Pommersches Platt. Weil ich Plattdeutsch kann, war es für mich nicht schwer zu verstehen. Aber meine Reisepartnerin Irene Maertins fragte mich schon manchmal: ,Sprechen die jetzt Deutsch, oder ist das Portugiesisch?‘.“
„ERSTAUNLICH, WAS DIE BRASILIANER AN AUFBAUARBEIT LEISTEN“
Jürgen Stegmann (50 Jahre) aus Wechold: „Auch mich hat als erstes diese riesengroße Herzlichkeit beeindruckt. Man umarmt sich grundsätzlich und ständig – das wäre eine Sache, an der wir hier im kühlen Norden auch mal arbeiten könnten. Überall stießen wir auf großzügige Gastfreundschaft. Wenn wir das Quartier wechselten, war es immer so, dass ein Empfangskomitee uns im nächsten Ort begrüßte. Egal, um welche Uhrzeit; egal, wie viel Verspätung wir hatten – das hat die Gemeinden nie davon abgehalten, auf uns zu warten und uns mit einem großen Begrüßungsessen willkommen zu heißen. Und die Leute waren immer etwas enttäuscht, wenn man nicht mindestens zweimal nachnahm.
Erstaunlich war für mich aber auch, was die Menschen in der Region an Aufbauarbeit leisten. Wie sich das Land innerhalb von kurzer Zeit verändert. Da gibt es komplette große Städte, die im Laufe von nur 35 Jahren entstanden sind. Vorher war da nur Urwald, und jetzt leben dort 25.000 Einwohner. Das wäre bei unseren Gesetzen und der Kontrolllage in Deutschland undenkbar. Aber die Eigenverantwortlichkeit in Mato Grosso ist einfach viel größer als bei uns. Das habe ich bei einer Begegnung ganz besonders festgestellt. Wir hatten das große Glück, einen dieser Pioniere kennenzulernen, die federführend für den Aufbau tätig waren: Edio Schwantes, der viele architektonische Grundsteine gelegt hat. Er und sein Bruder Norbert sind beide Pastoren, und sie standen damals vor dem Problem, dass im Süden von Brasilien, wo die meisten ausgewanderten Deutschen damals ankamen und lebten, nicht mehr genug Platz war. Die deutschen Einwanderer hatten dort mit landwirtschaftlichen Siedlungen begonnen. Aber es gab keine Möglichkeiten mehr, sie weiter auszubauen für kommende Generationen. Also fuhr Norbert Schwantes los und kundschaftete aus, wo im Land es noch Flächen gab, die für Landwirtschaft geeignet waren. Ohne großes Kapital kam er nach Mato Grosso, hat Verhandlungen geführt, Ländereien gekauft und die Leute dort in einer Art genossenschaftlichem Projekt angesiedelt. Sehr beeindruckend, was daraus entstanden ist. Und Edio Schwantes ist ein außerordentlich interessanter Erzähler, der wirklich Einzigartigkeit ausstrahlt.“
„DIE GESELLSCHAFT IST DURCH UND DURCH CHRISTLICH GEPRÄGT“
Dr. Jörn-Michael Schröder (47 Jahre) aus Syke: „Die brasilianische Gesellschaft ist durch und durch christlich geprägt. Viele Menschen tragen T-Shirts mit biblischen Botschaften. Auf Autos liest man immer wieder die Aufschrift ,Ich fahre mit Gott!‘ oder ,Ich liebe Jesus‘. Auch Heiligenbilder und -Skulpturen sieht man allerorten. Besonders beliebt ist der Heilige Antonio, der als ,Heiliger der Hochzeit‘ von vielen Verliebten und Heiratswilligen auf Partnersuche um Hilfe gebeten wird.
Dabei sind es neben der katholischen Kirche inzwischen vor allem die wachsenden Pfingstkirchen, die das Feld bestimmen. Viele dieser oft kleinen Kirchen mischen sich mit ihren bunten Fassaden und Aufschriften unter die Ladenlokale der Stadt. In Alto Garcas mit seinen 8.000 Einwohnern gibt es beispielsweise etwa zehn solcher neueren ,Pfingstgemeinden‘. Einheimische kritisieren, dass hier oft selbsternannte Prediger ihre eigene Kirche eröffnen und den Aberglauben der Menschen ausnutzen, um einen finanziellen Vorteil daraus zu ziehen.
Die deutsch-lutherischen Gemeinden sind von dieser Konkurrenz kaum betroffen. Insbesondere durch die gemeinsame Verbundenheit mit der deutschen Ursprungskultur sind die 200 bis 300 Gemeindeglieder zählenden Gemeinden recht stabil. Sie bedeutet einerseits eine Grenze, andererseits sind die Gemeinden durch die gute theologische Ausbildung der Pastoren für soziale und gesellschaftliche Themen in besonderer Weise anschlussfähig.“
„DAS GRUNDGEFÜHL IST ANDERS – SCHNELLER, SPONTANER.“
Anja von Issendorff (29 Jahre) aus Bruchhausen-Vilsen: „Ich fand es spannend mitzuerleben, wie eine gleichaltrige Pastorin in Mato Grosso lebt und arbeitet. Sie hatte einen riesigen Bezirk und lebt richtig mit ihren Gemeindemitgliedern. Die räumliche Entfernung zu ihrer eigenen Familie, zu Freunden und Kollegen ist so groß, dass sie die ganze Woche über nicht nur ihre Arbeit macht, sondern auch ihre komplette Freizeit sehr intensiv mit ihrer Gemeinde verbringt. Davon ist ihr Leben geprägt.
Und wie selbstverständlich auch wir deutschen Gäste überall auf- und angenommen wurden – das war gelebte Gemeinde pur!
Natürlich war es auch mal anstrengend mit den vielen Terminen und der Hitze, aber für mich war es eine wunderbare, aufregende Reise. Große Herzlichkeit, wärmende Gespräche, lebenserweiternde Erfahrungen… Das Grundgefühl ist in Brasilien ganz anders. Alles ist viel spontaner und schneller. Tote müssen nach 24 Stunden beerdigt sein. Man reagiert sofort und macht das, was gerade dran ist. Das hat mich beeindruckt.“
„DIE DEUTSCH-LUTHERANER KÄMPFEN UM IHRE WURZELN“
Mona Lisa Terra-Cordes (38 Jahre) aus Eitzendorf: „Für mich war es noch mal eine ganz andere Sicht. Brasilien ist mein Heimatland. Als ich damals zu meinem Mann nach Deutschland zog, hatte ich das Gefühl, ich muss erst mal alles zusammensuchen: Finde ich in Deutschland brasilianische Kontakte? Wo schmeckt das Essen so, wie ich es gewohnt bin? Gibt es Kosmetik, die genauso duftet wie zu Hause? Dann hört man in Deutschland oft: Man muss sich in einem fremden Land anpassen.
Als ich jetzt in den Gemeinden in Brasilien die ehemaligen deutschen Auswanderer kennengelernt habe, habe ich festgestellt: Sie essen Sauerkraut. Sie versuchen, schwarzes Brot zu backen. Ich kenne das so gut! Man geht woanders hin, aber versucht, seine Wurzeln zu behalten und irgendwie in seiner Kultur zu bleiben. Und in seiner Religion, wie man an den Lutheranern sieht. Sie sind eine Glaubensgruppe, die in Brasilien nicht groß und auch nicht sehr bekannt ist, aber sie kämpfen darum, ihre Glaubenskultur beizubehalten und an ihre Kinder weiterzugeben.“
„SOMMERKLEID UND VATERUNSER“
Irene Maertins (64 Jahre) aus Leeste: „Ich habe beeindruckende Tafelgebirge, Flüsse und Wasserfälle erlebt. Und eine großartige Gastfreundschaft. Manchmal kam ich mir vor wie eine aussterbende Rasse, so häufig bin ich fotografiert worden. Heute mit Dona Maria und der Frauenhilfe, morgen nochmal mit irgendeiner Schwiegertochter oder dem Enkelkind…
Ich war beeindruckt, dass es immer noch Goldgräber in Brasilien gibt. Wir haben sogar einen kleinen Goldklumpen geschenkt bekommen. Das hat mich sehr berührt und auch beschämt.
Ein unvergesslicher Moment war für mich: Ich gehe mit Pastora Dulcenelda in ein großes Geschäft, um ein Sommerkleid zu kaufen. Sie wird freundlich begrüßt und umarmt. Während ich in der Umkleidekabine bin, höre ich plötzlich ungewohntes Stimmengemurmel – ein gemeinsames ,Pai Nossa‘, das brasilianische Vaterunser, und anschließenden Applaus. Ich bin sprachlos.
,Aber das ist oft so‘, erklärt mir die Pastorin später. ,Wenn ich komme, erzählen die Verkäuferinnen mir ihre Sorgen, ich soll für sie beten, und dann sprechen wir alle gemeinsam das Vaterunser.‘ Sowas habe ich noch nicht erlebt.
Was ich vorher auch nicht wusste: Wie warm es werden würde. ,In Brasilien ist jetzt Winter, also Temperaturen von 19 Grad‘, stand in meinem Reiseführer. Das mag für den Süden gelten, aber nicht für Mato Grosso. Hier zeigte das Thermometer 30 und mehr Grade, es ist das ganze Jahr mollig warm. Wir haben viel gelacht über den Inhalt meines Koffers. Besonders über die originellen Luthersocken, die ich verschenkt habe. Die wird wohl niemand tragen…“
Miriam Unger