Nach 24 Jahren ist Schluss: Die Kinderspielgruppe im Gemeindehaus Syke feiert am Freitag, 3. Juli, Abschied
SYKE. Die „Schatzkiste“ schließt. Nach 24 Jahren löst sich die Kinderspielgruppe auf. Am Freitag, 3. Juli, feiern Mitarbeiterinnen, Eltern und Kinder Abschied von ihrer Einrichtung im evangelischen Gemeindehaus in Syke. Sabine Sonntag war von Anfang an dabei – als Gründungsmitglied und als Erzieherin.
Frau Sonntag, mehr als zwei Jahrzehnte gab es Ihre Spielgruppe. Wie viele Kinder mögen das in der ganzen Zeit gewesen sein?
„Wir haben tatsächlich 600 Kinder aus Syke und ihre Familien bei uns gehabt. Wenn ich in den letzten Jahren in der Zeitung die Liste der Konfirmanden lese, zähle ich immer durch: Der, der, der, der – die waren alle bei uns! Oder ihre Geschwister. Und wenn ich in Syke einkaufen gehe, habe ich immer das Gefühl: Ich kenne hier wirklich jeden!“
Wie hat alles angefangen?
„Mit dem Problem, dass es nicht genug Kindergartenplätze gab. Mein Sohn war damals zwei; und viele aus unserem Umfeld hatten keine Betreuung und keine richtigen Gruppenkontakte für ihre Kinder. Also haben wir uns als Eltern zusammengetan und eine Spielkreisgruppe gegründet. Und dann die zweite. Und dann sogar noch eine dritte. Wir haben uns anfangs komplett alleine finanziert über die Elternbeiträge. Zu Spitzenzeiten hatten wir Wartelisten und mussten 50 Kindern absagen. Das ist jetzt in den letzten Jahren natürlich anders geworden. Die ganze Kindergartenplatzverteilung ist heute ja ganz anders organisiert.“
Was hat diese Spielgruppe 24 Jahre lang ausgemacht? Was war besonders im Vergleich zu anderen Betreuungsangeboten?
„Wir hatten einfach ein anderes Konzept als normale Kindergärten. Wir sind im Grunde aus der Mutter-Kind-Arbeit der Kirchengemeinde Syke heraus entstanden, und diese Verbindung hat sich wie ein roter Faden durchgezogen. Wir haben aber nicht nur unter dem Dach der Kirche gearbeitet, sondern auch inhaltlich spielte Religionspädagogik bei uns immer eine große Rolle. Nicht, dass wir jetzt drei Stunden am Tag mit den Kindern gebetet hätten, aber das ganze Miteinander bei uns ist christlich geprägt. Das fängt beim sozialen Umgang miteinander an. Wir beten vor dem Essen, erzählen auch mal eine biblische Geschichte. Wir haben Familiengottesdienste mitgestaltet, sind aber auch immer einfach mal so rüber in die Kirche gegangen, um uns alles anzugucken und dort zu spielen. In der Adventszeit haben wir über die Weihnachtsgeschichte gesprochen und nicht nur vom Weihnachtsmann. Und auch unsere Dienstbesprechungen waren immer mit Pastor.“
Viele von den Kindern, die hier gerade um uns herumspringen, kommen aus anderen Kulturen. Eine große Zahl der jüngeren Leute in Deutschland gehört offiziell keiner Konfession mehr an. Ist christliche Religionspädagogik im Kindergarten den Eltern heute denn überhaupt noch wichtig?
„Ja. Wir haben zwar auch immer Kinder bei uns betreut, die nicht getauft sind. Oder die aus Familien kommen, die in gar keiner oder auch in einer anderen Konfession gebunden sind. Aber die christlichen Werte, für die wir stehen, sind den Eltern nach wie vor wichtig. Egal, ob es um Förderung der Selbstständigkeit, Sozialisation in der Gruppe oder um den Umgang miteinander geht – Religionspädagogik beinhaltet das ja alles.“
Könnte man eine Spielgruppe wie die „Schatzkiste“ heute auch noch genauso gründen wie damals?
„Nein. Vieles hätte aber auch damals gar nicht geklappt ohne die starke Fürsprache von Pastor Wilhelm Tesch, der ja leider gerade verstorben ist. Er hat uns von Vornherein diese ganz enge Anbindung an die Kirchengemeinde gegeben und uns getragen. Auch durch schwierige Zeiten. Dass wir überhaupt dahin gekommen sind, wo wir jetzt stehen, hat er durchgesetzt. Ich finde es immer noch unglaublich, dass es uns tatsächlich gelungen ist, aus dieser kleinen Spielkreisgruppe, die sich zu Beginn in einer rechtlichen Grauzone bewegt hat, eine echte KiTa zu machen. Besonders war auch: Alle, die in den Jahren bei uns waren, haben wirklich mit außergewöhnlichem Einsatz gearbeitet. Wir waren alle Minijobber, die nichts für ihre Rente tun konnten, aber trotzdem wurde bei uns nie gestreikt oder gejammert, dass die Arbeit schlecht bezahlt ist und alles zu viel wird.“
Warum lösen Sie die Spielgruppe denn jetzt auf?
„Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der erste ist, dass wir ein personelles Problem haben. Der Träger der Spielgruppe ist ein Förderverein der Kirchengemeinde. Und die Arbeit in diesem Förderverein wird komplett von Ehrenamtlichen gemacht. Der Vorsitzende, Dr. Ulrich Ellinghaus, ist beruflich stark eingespannt und möchte sein Amt gerne abgeben. Die Schatzmeisterin Helma Schlicht, die ganz viel Arbeit hat mit der Berufsgenossenschaft, dem Finanzamt und dem Einziehen der Beiträge, wollte auch kürzer treten. Genauso der ältere Herr, der jahrelang ehrenamtlich unseren Garten gemacht hat. Für all diese Posten jemanden zu finden, war ganz schwierig. Und dann kommt auch noch hinzu, dass ich in diesem Sommer selber auch aufhören wollte. Das ist ein Gesamtpaket, dass es zu schwierig gemacht hat, die ,Schatzkiste‘ weiter zu betreiben. Wir hätten zwar noch genug Anmeldungen für das nächste Kindergartenjahr gehabt, und die Kirche hätte uns garantiert auch nicht aus den Räumen geschmissen. Aber wir haben gesagt: Die Bürokratie wird komplizierter, die Auflagen immer höher, die Hoch-Zeit ist vorbei – und bevor es nur noch runtergeht, machen wir lieber jetzt Schluss.“
Wie schwer fällt es Ihnen, die „Schatzkiste“ zuzumachen? Hätten Sie sich gewünscht, dass es auch ohne Sie noch weitergeht?
„Natürlich. Wir haben jahrelang auf das Angebot der Stadt gebaut, hier eine Krippengruppe einzurichten. Unser Traum wäre es gewesen, an so eine Einrichtung unsere Arbeit und unser Inventar zu übertragen. Wir hatten diese Hoffnung über mehrere Jahre. Meine ehemalige Kollegin stand schon in den Startlöchern, eine neue Krippe mit aufzubauen. Aber irgendwann wollte sie sich dann nicht mehr auf vage Aussagen verlassen und hat schweren Herzens ein anderes Angebot angenommen. Die Stadt hat uns hingehalten, bis sie jetzt vor kurzer Zeit ganz abgesagt hat. Natürlich war ich darüber sehr enttäuscht. Aber nun ist es so. Klar wird es am Freitag ein emotionaler Moment, wenn wir die ,Schatzkiste‘ beim Abschiedsfest symbolisch zumachen. Dann weine ich, hundert Pro. Aber dass in diesen Tagen alle meinen, ich müsste getröstet werden – das ist nicht so.“
Wie geht es bei Ihnen und Ihrer Mitarbeiterin weiter?
„Ich werde ab September meine beiden Enkelkinder betreuen. Bei meiner Tochter ist ab September die Elternzeit vorbei, sie fängt wieder an zu arbeiten, und darum wollte ich auch aufhören. Denn so eine Betreuung lässt sich nicht mit diesem Job vereinbaren, den man einfach nicht nebenbei machen kann. Ich bin nach den Sommerferien dann also Großmutter mit pädagogischem Hintergrund, und das ist eine tolle Aufgabe. Ich habe keine Angst, dass ich ins große schwarze Loch falle.
Meine Kollegin Antje Rohlfs, Heilerziehungspflegerin aus Sudwalde, war an drei Vormittagen bei uns - mit Leib und Seele und Gitarre. Sie arbeitet hauptberuflich bei der Lebenshilfe im Wohnheim. Und da kann sie jetzt auch aufstocken.
Und alle anderen arbeiten ja ehrenamtlich.“
Miriam Unger