Das Grauen von Auschwitz, katholische Volksfrömmigkeit in Tschenstochau und die Situation der kleinen evangelischen Minderheitskirche – die evangelischen Pastoren der Region haben bei ihrer 5-tägigen Konventsfahrt nach Polen viele unterschiedliche Eindrücke und Erfahrungen gesammelt. Die 24 Pastoren und eine Diakonin besuchten bis Freitag unter Leitung von Superintendent Dr. Jörn-Michael Schröder Breslau mit dem Wallfahrtsort Tschenstochau und Krakau mit der Gedenkstätte Auschwitz.
Tief beeindruckt hat die reisenden Geistlichen das frühere Vernichtungslager Auschwitz. Still wurde es in der Gruppe, als in einem Raum die Haare von 140.000 ermordeten Frauen auf einem riesigen Haufen zu sehen waren. Solche Haare ließen die Nationalsozialisten unter anderem über die Bremer Wollkämmerei zu Haarnetzen und Stoffen weiterverarbeiten. Die Pastoren besuchten auch den früheren jüdischen Stadtteil Krakaus Kazimierz und sahen Spuren von Synagogen und jüdischen Privathäusern. Durch den hier gedrehten Film „Schindlers Liste“ kam ein Aufschwung in den Stadtteil, einige jüdische Geschäfte kehrten zurück und so konnte die Gruppe in einem jüdischen Restaurant am Abschlussabend speisen. Lebten vor dem Krieg 4 Millionen Juden in Polen gibt es heute 10.000.
Überall war in der frommen Stadt Krakau ihr ehemaliger Kardinal und spätere Papst Johannes Paul II gegenwärtig. Pilger aus aller Welt besuchen die Stadt auf den Spuren dieses populären Papstes und zurzeit wird ein großes Sanktorium zu seinen Ehren gebaut. 9 mal besuchte der polnische Papst die Stadt und sein früherer Privatsekretär Stanislaw Dziwisz wirkt hier nun als Kardinal. 2016 wird das gegenwärtige Oberhaupt der katholischen Kirche zum Weltjugendtag erwartet. In Tschenstochau erlebten die evangelischen Pastoren katholische Volksfrömmigkeit, sahen die schwarze Madonna und erlebten eine Messe mit Trauung eines jungen Paares. Ein jesuitischer Gesprächspartner der Gruppe zeigte deutlich auf, wie sehr in der Geschichte die polnische nationale Identität mit dem katholischen Glauben verbunden ist – bis heute.
Umso interessanter war der Besuch zweier evangelischer Kirchen in Breslau und Krakau. In Krakau gab die deutsche Praktikantin Michelle Barholz Einblicke in die wechselvolle Geschichte der Gemeinde, die heute 530 Seelen und ein sehr vielfältiges Gemeindeleben hat. Die Gemeinde macht viele Angebote für Familien und Konzerte und zeichnet sich nach den Worten ihres Vikars durch Offenheit aus. Wegen der vergleichsweisen Liberalität der Gemeinde konvertieren immer wieder polnische Katholiken in sie hinein. Aus deutscher Sicht ist die evangelische Kirche in Polen konservativ und zählt bewusst unter ihren über 100 Pfarrern keine einzige Frau.
Hat der Kardinal in Krakau nach wie vor sehr großen Einfluss auf die Geschicke der Stadt, ist dies in schlesischen Breslau anders. Denn die ehemals deutsche Stadt wurde nach dem Krieg fast vollständig mit aus östlichen Gebieten vertriebenen Polen besiedelt, so mit vielen Bewohnern Lembergs. Im Stadtteil der „gegenseitigen Hochachtung“ wird heute bewusst Toleranz gelebt und die russisch-orthodoxe und die evangelisch-lutherische Gemeinde sind hier ebenso angesiedelt wie die jüdische Synagoge.
„Es verdient Respekt, wie die evangelischen Gemeinden trotz schwieriger Vergangenheit und extremer Minderheitssituation ihren Glauben fröhlich behauptet haben“ sagt Superintendent Schröder im Rückblick. Generell sei in Polen zu erleben, dass sich „moderne Gesellschaft und Kirchlichkeit nicht ausschließen, sondern hier eng verbunden sind“, so der leitende Geistliche des Kirchenkreises Syke-Hoya abschließend.
Gunnar Schulz-Achelis