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Gorleben und die Atompolitik

Nachricht Wechold, 14. April 2011

Eine überraschende Aktualität hat eine lange geplante Kirchenkreiskonferenz bekommen, so Superintendent Dr. Jörn-Michael Schröder, als am Mittwoch im Wecholder Gemeindehaus 40 Pastoren, Diakoninnen und Kirchenkreis-Sozialarbeiterinnen zusammenkamen. Für die monatliche Konferenz im evangelischen Kirchenkreis Syke-Hoya stand „Gorleben und die Atompolitik“ auf dem Programm und es referierte Pastor Eckhard Kruse aus Gartow, auf dessen Gemeindegebiet das mögliche Atommüllendlager Gorleben liegt.

Der „Endlagerbeauftragter“ der Hannoverschen Landeskirche ist zu einem international gefragten Fachmann geworden, diskutiert mit Bundesumweltministern, organisiert Widerstand und zugleich seelsorgerliche Begleitung bei Castortransporten und fand nicht zuletzt nach der Katastrophe in Fukushima bei seinen Kollegen in der der hiesigen Region offene Ohren für seine eindrücklichen Schilderungen seiner ungewöhnlichen „Gemeindearbeit“.

„Der Riss geht durch die Familien“ sagte der Seelsorger, der täglich seit 34 Jahren in der Lokalzeitung ein neuen Artikel über das Lager lesen kann und muss. „Das macht was mit den Leuten“. Geschäftsleute fürchten keine Aufträge zu bekommen, wenn sie gegen das Endlager sind. Bergleute und Ingenieure werden von Gegnern unhöflich behandelt. „Einige sind sehr kritisch und wir als Kirche müssen aufpassen, dass sie nicht ausrasten“.

„Unsere fünfte Jahreszeit ist im November, wenn der Castor rollt“. Bis zu 70 Prozent  der 18.000 Polizei-Beamten wollen die Einsätze im Wendland nicht. Bis zu 50 Seelsorger mit Dienstausweis und spezieller Seelsorge-Westen ausgestattet – im Kontakt mit der Tag und Nacht besetzten Superintendentur als „Einsatzzentrale“ – gehen zwischen die Fronten und tragen zur Deeskalation bei, „weil wir als einzige Institution das Vertrauen von allen Seiten haben“. Die Gewalt gehe in der Regel von Beamten aus, die Kreuzberg oder Fußballstadien gewohnt seien, und nicht Bauern, 80-jährige Damen und junge Atomkraftgegner. Ein Castor beinhalte als Inventar und von der Strahlung her 40 Hiroshima-Atombomben. Ein Behälter wiege 100 Tonnen und müsse zunächst 40 Jahre luftgekühlt werden, sonst würde er 1500 Grad heiß werden. Jetzt seien in Gorleben 120 Castoren, die möglicherweise im Salzstock unter der Erde eingelagert werden sollen – Platz ist für 400. Man habe hier eine Verantwortung für eine Million Jahre.

In allen anderen Ländern der Welt gelte Salz inzwischen als ungeeigneter Lagerort. Man habe in der Bevölkerung nicht das Vertrauen, dass wirklich ergebnisoffen erkundet werde, zumal kritische Geologen im Erkundungsbergwerk wegversetzt wurden. 1983 wurden einfach Schutzziele aufgehoben, nämlich, dass Ton über dem Salz sein muss (auch wegen der benachbarten Elbe). Das Kriterium „Mehrbarrieresystem“ wurde einfach aufgegeben, weil die Erkundungsergebnisse anders als erwartet waren. So habe man Gas in der Nähe gefunden und sage jetzt, dass bei eindringendem Wasser die Fließgeschwindigkeit nicht so hoch sei, das Grenzwerte überschritten würden. Die Kirche fordert wieder die Einführung von Kriterien und Kruse selbst hat an einem internationalen Kriterienkatalog mitgearbeitet. Vor allem müsse die Bevölkerung beteiligt werden. Sollte Gorleben den Kriterien entsprechen, sei er sogar für die Einrichtung des Endlagers dort, weil es nicht nach dem St.-Florians-Prinzip gehen könne, da der Müll ja da sei. Immer wieder lädt die evangelische Kirche Experten – Befürworter und Gegner – zu Vorträgen ein.

Andreas Graf von Bernstorff, der ein 38,5 Millionen D-Mark-Angebot aus ethischen Gründen abgelehnt hat – und die Kirchengemeinde verkaufen ihr im Erkundungsgebiet liegenden Länderein nicht, denn dem Landbesitzer gehört das Salz unter seinem Grund. Jetzt sollen sie nach geändertem Atomrecht enteignet werden.

Auf Nachfrage sagte Kruse, dass bei der Prüfung alternativer Standorte es vor allem verbindliche Ausschlusskriterien geben müsse, die dann auch für Gorleben gelten müssten. Abschließend berichtete er, dass alle Kirchengemeinde im Kirchenkreis Lüchow-Dannenberg atomstromfreie Energie beziehen im Rahmen eines Sammelvertrages; und auch die meisten hiesigen Kirchengemeinde verfahren so.

Gunnar Schulz-Achelis