„Wir drohen einem Gesundheitswahn aufzusitzen, der unsere Möglichkeiten und Vorstellungen vom Leben hoffungslos überstrapaziert“. Dies hat Dr. Stephan Schaede beim Frühjahrsempfang des evangelischen Kirchenkreises Syke-Hoya am Freitag gesagt. Der Direktor der evangelischen Akademie Loccum brachte seine über 85 Zuhörer aus Kirche und Kommunen oft zum Lachen, aber gelegentlich blieb manchem auch das Lachen im Hals stecken. Denn der Referent sprach über die „Illusion Gesundheit“ und plädierte für ein Leben in Unvollkommenheit. Auch wenn Gesundheit der Deutschen höchstes Gut zu sein scheine, werde es aus Kostengründen erhebliche Veränderungen im System geben müssen. „Es wird einen Vervollkommnungsknick in Sachen Gesundheit geben müssen“, so Schaede.
Dabei gebe es auf dem Feld der Gesundheit einen unbegrenzten Perfektionsdrang. Auch die Weltgesundheitsorganisation definierte Gesundheit letztlich als Illusion mit „Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“. Der Theologe Ulrich Körtner sehe hier sogar eine Anspruchshaltung, ein Recht auf Gesundheit bestärkt, so Schaede – und Ärzte sähen sich illusionären Erwartungen ausgesetzt. „Gesund ist ein Mensch dann, wenn er die körperlichen, geistigen und sozialen Störungen, denen er ausgesetzt ist, noch in sein Leben integrieren und mit ihnen umgehen kann“, so der Theologe weiter.
Man könne den eigenen guten Gesundheitszustand nicht als Gnade deuten, da gerade auch kranken Menschen in anderer Weise vielleicht Gnade erfahren würden. „Gnade ist vielmehr der Vorgang, in dem Gott ununterbrochen mit Menschen zusammen ist, ihnen zur Seite steht und sie am Leben erhält“. Die Macht der Gnade sei dem Tod überlegen und sorge für Lebensgroßzügigkeit, auch in schwierigen Lebensumständen.
Mit Blick auf die Kommunen riet Schaede den Bürgermeistern, bei aller notwendigen Hochleistungsmedizin und Spezialisierung von Krankenhäusern auch dafür zu sorgen, dass im Notfall auf dem Land schnell Hilfe da ist – durch Krankenhäuser in der Fläche und Landärzte. In den Ärzteausbildungen müsse stärker für das Arztgespräch geworben werden, das die Not der Patienten aufnimmt und einen gnädigen Blickwechsel herbeiführen kann. Die Kirchen könnten Seelsorge und soziales Engagement, auch Kirchenmusik und Jugendarbeit als Gesundheitsvorsorge beitragen.
Superintendent Dr. Jörn-Michael Schröder hatte zuvor in seiner Begrüßung auf die gegenwärtigen Herausforderungen im Kirchenkreis hingewiesen, auf eine stärkere Zusammenarbeit der beiden Kirchenkreise im Landkreis Diepholz bei Kindertagesstätten und Diakoniesozialstationen. Er wies hin auf die notwendige Wertschätzung und Schulung von Ehrenamtlichen und auf die Gründung der Kirchenmusik-Stiftung im vergangenen Jahr hin.
Und auch der scheidende Landrat Gerd Stötzel wandte sich in seinem Grußwort gegen eine Verabsolutierung von Gesundheit. Es gäbe genug Gesunde, die ständig unzufrieden sein. Kirchenkreis und Landkreis könnten nicht so wirken, dass Menschen glücklich sind. Und trotzdem könne man gut miteinander leben, wenn man es nur wolle, so Stötzel abschließend.
Gunnar Schulz-Achelis