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Armut diskutieren

Nachricht Syke, 19. Januar 2011
Marlis Winkler
Marlis Winkler (im Vordergrund) vom Diakonischen Werk der Hannoverschen Landeskirche regte Diskussion über Armut auf dem Land bei Pastoren und Sozialarbeiterinnen des evangelischen Kirchenkreises Syke-Hoya an, die von Diakoniepastorin Dagmar Brusermann (links) moderiert wurde. Archiv-Foto: Gunnar Schulz-Achelis

Scham scheint ein Hauptproblem für Arme im ländlichen Raum zu sein. Bei der Kirchenkreiskonferenz am Mittwoch in Hoya sprach Marlis Winkler vom Diakonische Werk der Landeskirche über „Armut im ländlichen Raum“ und diskutierte mit den 40 Pastorinnen und Sozialarbeiterinnen, Tafelmitarbeitern und Diakoninnen.  Auf der Basis einer aktuellen Studie beschrieb sie treffend die Besonderheiten von Armut auf dem Land  und machte Vorschläge, was die evangelische Kirche anbieten kann.

Winkler hatte in Zusammenarbeit mit dem sozialwissenschaftlichen Institut der evangelischen Kirche in Deutschland kürzlich eine Studie gemacht, bei der 30 Betroffene – bei unterschiedlichen Lebenssituationen und Voraussetzungen – ausführlich und intensiv interviewt wurde. „Wir wollten nicht über die Menschen sprechen, sondern mit ihnen“, sagte die Sozialarbeiterin und Diakoniewissenschaftlerin.

„Auf dem Land scheint eine heile Welt zu sein“ meinte sie einleitend. In Interviews sagte eine Mutter, man sei ohne Auto und wenig Busfahrmöglichkeiten „wie eingesperrt“, als Mieter in einem unschönen Mietshaus gelte man im Dorf schnell „als asozial“, gehe man zu einer Tafel sei dies beschämend. Zugang zu Bildungseinrichtungen seien auf dem Land schwieriger als in der Stadt. „Arme wollen nicht als Arme identifiziert werden“ so Winkler und nähmen zum Teil auch Hilfe nicht an. „Das ist manchmal schwer auszuhalten“ sagt Winkler aus Sicht der Helfer.

„Lieber hungern als beschämt werden“ hatte ein interviewter Betroffener gesagt, da die soziale Kontrolle im Dorf – die Nähe – als belastend erlebt werde. Der erste Gang zu einer Tafel sei oft ein großer psychologischer Einschnitt, da sich viele auf dem Land zunächst nicht als „arm“ verstehen, gerade auch Landwirte. Auf dem Land fielen manche durch die sozialen Maschen, weil sie beispielsweise in einem großen, aber letztlich unverkäuflichen und abgelegenen Haus lebten, so Winkler. Arme fühlten sich aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen, weil sie oft „nicht mithalten“ können.

„Arme formulieren kaum Erwartungen an die Kirche, es sei denn für ihre Kinder“ sagte Winkler, was auch Pastoren bestätigen konnten, die mit wenig Erfolg Angebote für arme Menschen gemacht hatten. Gefragt seien, so Winkler, Hausaufgabenhilfe, Ferienangebote und Fahrdienste. Viele Arme vermissten auch Wertschätzung für das, was sie – zum Teil unter großen Anstrengungen – für ihre Kinder tun.

Winkler riet nicht Almosen zu geben, sondern Betroffene zu Beteiligten zu machen und zur Mitarbeit zu animieren, zum Beispiel bei einem Gemeindefest. Man sollte die Menschen bei ihren Begabungen und Kompetenzen ansprechen, bei Angeboten möglichst keinen Eintritt verlangen und berücksichtigen, wie Teilnehmer zu Veranstaltungen kommen können.

Unter Moderation von Diakoniepastorin Dagmar Brusermann gab es auch Anfragen seitens der Zuhörer: Einige sahen die Tafelarbeit zu negativ bewertet, was an der Auswahl der Interviewpartner liegen könnte. Auch müsse man nicht alles glauben, sondern es gelte auch intensiv und interessiert nachzufragen. Winkler sagte, dass das Diakonische Werk sich auch politisch für mehr Gerechtigkeit einsetze und dies die Barmherzigkeit ergänze, ja sogar vor ihr Vorrang habe. Auch habe Armut nicht nur ein Gesicht, sondern es gäbe verfestigte Armut über Generationen oder Phasen-Armut bei Arbeitslosigkeit. Auch sei der Umgang mit Armut je nach Bildung und Gesundheit sehr unterschiedlich.

Gunnar Schulz-Achelis